VON STEFAN MATERN:
Der rasende Reporter Christian "Orti" Ortlepp malte das Horrorszenario in den dunkelsten Farben: "Schock" nach Feuer im Mannschaftshotel, "Horrorreise" und "Kreml", das Wort das Ortleb nicht unbedingt immer sinnvoll in seinem Satzbau zu platzieren vermache, das Wort das Ortleb gerne mit sehr gedehntem E ausspricht, sodass es eher wie "Kreeeeeeeeeml" klingt und an einen Schokoriegel mit goldbrauner Füllung erinnert.
„Tatsächlich“
war im Mannschaftshotel des FC Bayern am Sonntagabend Feuer ausgebrochen und
die gesamte Mannschaft samt Betreuer musste das Ritz Carlton, einen
Luxusschuppen im Zentrum Moskaus, räumen. „Der“ deutsche Sportsender Sport 1,
der tagsüber gerne anstatt Sport lieber dicke Amerikaner mit tätowierten
Oberarmen zeigt, die aus irgendwelchen Garagen irgendwelche Dinge ersteigern (ohne
vorher zu wissen was sie für ihre Gebote erhalten werden) nur um dann wenig
später nach der Öffnung des Garagentors enthusiastisch auszurasten, wie es
früher die Kandidaten bei Oliver Geissen vor dem Liebestor taten; ja, jener
Sender untermalte den von Orti prognostizierten Untergang der bayerischen
Mia-San-Mia-Wohlfühloase mit Schreckensbildern.
Zu sehen waren Spieler des
Rekordmeisters, eingehüllt in Handtüchern und vor dem Hotel kauernd, nicht
wissend was passieren und wie es weitergehen würde. Tatsächlich nutzte Sport 1 zunächst
nur die unmittelbar nach der Flucht aus dem Hotel getätigten Aufnahmen, die
Spieler fanden sich alsbald in einem noblen Restaurant um die Ecke ein und
verbrachten einen gemütlichen Teamabend in gesitteter Atmosphäre.
Willkommen im
Märchenwald des Qualitätsjournalismus. Ein Schelm, wer böses denkt und dem
Moskauer Club unterstellt, er würde mit allen Mitteln arbeiten. Auch ein Schelm, wer sich an Breno erinnert fühlt, denn man soll ja kein Feuer legen, das man
nicht löschen kann. Manuel Neuer jedenfalls kommentierte den Vorfall auf seine
Art, er fühlte sich „an alte Schulhofzeiten erinnert“. Doch all die Aufregung
und auch all die Witze waren im Endeffekt nur Schall und Rauch, meldete doch
die Moskauer Tageszeitung Kommersant unter Berufung auf Hotelmitarbeiter, dass
es sich um einen falschen Bombenalarm gehandelt habe. Dennoch darf natürlich
konstatiert werden, dass die ohnehin schon schwierige Russlandreise durch
diesen Vorfall nicht unbedingt angenehmer geworden ist.
Die
Auswärtsfahrt des FC Bayern München zum Championsleague-Spiel gegen ZSKA Moskau
ist nämlich auf mehrere Arten speziell. Zunächst einmal tun sich westliche
Mannschaften immer schwer, wenn es für sie in die ferneren östlichen Länder
geht. Oft wird auf Kunstrasen gespielt, die Temperaturen sind kalt, die
Anstoßzeiten ungewohnt und die russischen Teams haben auch gerne eine zerstörerische
und unangenehme Spielweise an sich, die einem ballbesitzorientierten Team wie
dem FC Bayern die Laune gehörig verderben kann. Das alles ist jedoch nichts, was
Profisportler nicht kennen.
Was dem gemeinen Fußballfan, und auch dem gemeinen
Profi sicher nicht unbedingt schmecken wird, ist die gespenstische Stille die
sich in der Arena Khimki, in die das Spiel von der UEFA verlegt worden war,
sollte es doch zunächst im Stadion des Lokalrivalen Lokomotive Moskau
stattfinden, ausdehnen wird. Die UEFA
hatte den russischen Club aufgrund des wiederholt rassistischen Verhaltens
seiner Fans mit diesem Fan-Ausschluss bestraft, das Spiel wird also, wie einst
das Spiel des VfB Stuttgart im Achtelfinal-Rückspiel der Europa-League gegen
Lazio Rom, vor leeren Rängen stattfinden.
Dass die UEFA damit nicht nur,
zurecht, die Moskauer Fans bestraft, sondern auch den Anhängern des FC Bayern schadet,
interessierte die Entourage um Michel Platini nicht sonderlich. Weder die
Protestaktionen im CL-Spiel gegen Manchester City noch der offene Brief an die
UEFA hatte die alten Herren zu einem Umdenken bewegen können. Verständlich,
bedenkt man die senile, herrische und teils fast schon komische Art und Weise
mit der Platini durch die große Fußballwelt stolpert, grade so, als hätte er
vergessen wie galant und geschmeidig er einst über die Rasen dieser Welt
geschwebt war.
Doch die Entscheidung steht nun und es bleibt zu hoffen, dass
sich einerseits die beiden Teams davon nicht beirren lassen und ein tolles
Fußballspiel zeigen, und andererseits, dass sich das hartnäckig haltende
Gerücht, der Gastgeber wolle über Lautsprecher für Stadionatmosphäre sorgen,
nicht bewahrheitet. Es wäre zu traurig, dürften unsere Ohren nicht dem
herrlichen Deutsch, Spanisch oder wahlweise Englisch Pep Guardiolas über die Außenmikrofone
lauschen, mit dem er seinen Spielern die Anweisungen derart intensiv,
euphorisch und alphatiermäßig in die Ohren brüllt, dass Matthias Sammer auf der
Ersatzbank verschüchtert zu Boden guckt,
nur um sich dann im nächsten Interview wieder in verschachtelten Sätzen zu
verstricken und das Wort „Konstellation“ möglichst inflationär zu benutzen.
Doch auch damit könnten wir alle noch leben. Unser Horrorszenario, das man
malen kann, ohne auf Orti zurückzugreifen, ist eben Folgendes. Gibt es zu den
unsäglichen Kommentatoren um den opportunistischen Marcel Reif und seinem
jüngeren Pendant Wolff Fuß, bei dem in jedem Spiel mindestens einmal ein „lucky
punch“ gesetzt wird, nicht mehr die Alternative auf Stadionatmosphäre
umzuschalten, weil es eben keine Atmosphäre gibt, ja, dann ist der Abend, ob
mit oder ohne Schokoriegel mit goldbrauner Füllung, endgültig gelaufen.