Freitag, 29. November 2013

Zauberei am Zuckerhut: Die Utopie der perfekten Weltmeisterschaft Teil II
















VON STEFAN MATERN:

Doch nicht nur die finanzielle und wirtschaftliche Situation regt zum Nachdenken an, auch die personellen Sorgen sind gravierend. Nachdem ein Streit zwischen der FIFA und der brasilianischen Regierung, der durch die Äußerung des Generalsekretärs der FIFA, Brasilien brauche einen „Tritt in den Hintern“ ausgelöst, und durch einen überhasteten Beschwichtigungsbesuch Sepp Blatters beigelegt worden war, zeichnete sich indes die nächste Hiobsbotschaft für die Staatspräsidentin Dilma Roussef ab. Ricardo Teixeira, seines Zeichens Vorsitzender des brasilianischen Fußballverbandes, musste aufgrund von Korruptionsvorwürfen mit erdrückender Beweislast sein Amt niederlegen. 

Die Trauer über jenen Rücktritt hielt sich in Grenzen, doch der eigentliche Super-GAU, der Schlag ins Gesichte Roussefs, folgte auf dem Fuße. José Maria Marin übernahm die Rolle des Nachfolgers. Man stelle sich vor, Roland Freisler hätte die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland als Präsident des Verbandes organisiert und die Medaillen an die Spieler überreicht, sowie zusammen mit Angela Merkel auf der Tribüne gesessen. Das zeichnet, in etwas überspitzter Form, die Rolle Marins in Brasilien nach. Dieser war in der Zeit der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 glühender Verteidiger der gewaltsamen Praktiken, lobte beispielsweise die Folterknechte die Kritikern und Widersachern des Regimes ihre Grenzen aufzeigten, sieht die Folterungen bis heute als verdient und gerechtfertigt an, nennt die Widerständler gar „Terroristen“ und hat seit jeher nicht die kleinste Entschuldigung verlauten lassen. 

Geradezu pervers mutet es dabei an, dass Dilma Roussef zu jener Zeit einer linken Widerstandsgruppe angehörte, und ebenfalls Opfer von physischer und psychischer Gewalt geworden war. Roussef musste somit beim Confederations Cup jenen Mann umarmen, der ihre eigene Folter befürwortet hatte. Und jene Persona non grata, jener Mann der ein bekennender Menschenrechtsverletzter war, soll die Weltmeisterschaft eröffnen, mit ihr an seiner Seite. Bizarrer geht es nicht mehr. Und eigentlich auch nicht trauriger. Doch die FIFA setzt dem ganzen die Krone auf:


Das Ethikkomitee des Weltverbandes sieht sich in diesem Fall nämlich nicht zuständig, dies sei eine „innerbrasilianische Angelegenheit“. Doch wie soll Brasilien solch ein Problem lösen, mit einem Parlament in dem mindestens ein Drittel der Abgeordneten wegen Vergehen wie Kidnapping, Stimmenkauf oder Geldwäsche oder noch schlimmeren  Anschuldigungen, die sogar bis zu Kokainschmuggel und Mord reichen, angeklagt ist? Vermutlich gar nicht.

Brasilien braucht eine internationale Welle der Entrüstung, eine Welle die durch den Stein Marin hätte ausgelöst werden müssen, eine Welle wie sie es 2006 gegeben hätte, wäre ein Alt-Nazi Organisator der WM gewesen. Die Bevölkerung hat den Anfang gemacht, ein Anfang der die Ignoranz der westlichen Staaten, der FIFA und der Fußballer selbst beenden sollte.

 In Anlehnung an die „Democracia Corinthiania“, die vor rund 30 Jahren ihren Ursprung unter Schirmherrschaft des politisch engagierten Fußballlers Sócrates hatte, oder auch der aktuellen Protestbewegung „Bom Senso FC“, muss sich ein Bewusstsein unter den Fußballern bilden. Denn die Profis der Nationen haben eine kommunikative Macht wie sonst nur wenige, insbesondere die Brasilianer um den Zauberer Neymar und den Publikumsliebling Dante, und genau sie sind es auch, die diese Macht endlich nutzen sollten. Alles andere wäre traurig. Denn hier geht es um mehr als nur eine Weltmeisterschaft. Für Brasilien. Für den Fußball. Für den Rest der Welt.

Donnerstag, 28. November 2013

Zauberei am Zuckerhut: Die Utopie der perfekten Weltmeisterschaft Teil I
















VON STEFAN MATERN:

200.000 Menschen protestierten auf den Straßen der verschiedensten Städte, mehr als doppelt so viele taten ihren Unmut in sozialen Netzwerken kund. Bilder von Straßenschlachten mit der Polizei, herumfliegenden Molotow-Cocktails und zu Wurfgeschossen umfunktionierten Kokosnüssen flimmerten über die Bildschirme in europäischen Wohnzimmern. 

Was sich anhört wie ein Lagebericht zu Zeiten der ägyptischen Revolution im arabischen Frühling ist lediglich das, was sich während der Generalprobe zur WM 2014, dem Confederations-Cup 2013, in Brasilien abspielte. Jene Szenen sind jedoch durch die Vorkommnisse in Katar, und auch durch die spannenden Playoffs in der WM-Qualifikation, in Vergessenheit geraten und die Welt freut sich, wie just nach der Vergabe, auf ein Sommermärchen 2.0 in Brasilien.

 Zauberei unterm Zuckerhut, Samba do Brasil, die erst zweite WM nach 1950 in dem Land, in dem es mehr Fußbälle als Straßenlaternen gibt, in dem klangvolle Namen wie Pele, Romario, Ronaldo oder Zico das Kicken auf der Straße lernten. Kein anderes Land impliziert die Liebe zum Fußball so deutlich, kein anderes Volk lebt Fußball so wie die Brasilianer. Also rein ideell gesehen nicht die schlechtesten Voraussetzungen. Doch in der Realität zeigt sich ein zweites Gesicht - o reverso da medalha, wie der Brasilianer sagen würde, die Kehrseite der Medaille.

Der Umbau bzw. Neubau von Stadien und der Ausbau der Infrastruktur hinken in Planung und Umsetzung den Vorgaben meilenweit hinterher, die Kosten explodieren und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst. Keinen geringen Anteil an den Zweifeln in der Gesellschaft hat der Vertrauensbruch den die Regierung beging, hatte sie doch versprochen, die WM ausschließlich durch private Investoren zu finanzieren. Résumé: Über 10 Milliarden Dollar an Steuergeldern die bisher aufgewendet wurden, das sind mehr als die Kosten der letzten drei Weltmeisterschaften zusammen.


Dass in Brasilien der Schuh jedoch an ganz anderen Stellen drückt, wie beispielsweise in der Bildung oder bei sanitären Einrichtungen, sorgt für weiteren Unmut in der Gesellschaft. Als logische Konsequenz und bitteren Beigeschmack sank das Wirtschaftswachstum, gleichzeitig stieg die Inflationsrate und die Lebensmittelpreise nahmen um satte 13 Prozent zu. 

Wer hier noch über Sommer, leicht bekleidete Brasilianerinnen, spektakuläre Dribblings von Neymar und den Beachbody von Cristiano Ronaldo an der Copacabana sinniert, ist wohl vor einigen Jahren gedanklich stehengeblieben und hat den Ernst der Lage noch nicht erkannt. 

Montag, 11. November 2013

Alles Gute Philipp Lahm!

VON JAWIN SCHELL:

Picasso und Beethoven (beide 1,62), Charlie Chaplin (1,65) und Martin Luther King (1,69). Oft sind es die kleinen Männer, die fähig sind Großes zu leisten. Auch Hitler, Stalin und Napoleon maßen weniger als 175 Zentimeter. Doch bei ihnen äußerte sich das Gefühl des scheinbaren Zukurzgekommenseins in einem aggressiven, unstillbaren Machthunger und führte in historische Abgründe.



Das vermeintliche Manko der geringen Körpergröße jedoch als intrinsischen Motivationsgrund beim Urmünchner und bayerischen Weltklasseverteidiger Philipp Lahm (1,70) festzumachen wäre hingegen nun wirklich genauso falsch wie ihm einen „Napoleon-Komplex“ vorzuwerfen.
Lahm möchte nichts kompensieren.

 Er muss auch nichts kompensieren, denn er läuft und spielt seit Jahren ähnlich zuverlässig und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Seine große Stärke liegt im Hang zur Perfektion. Wäre die Bundesliga eine Schulklasse, wäre er Lehrerliebling, Klassenprimus und Schülersprecher zugleich. Keine Fehlzeiten, keine Verhaltensauffälligkeiten, nur Bestnoten. Eine Suche nach schlechten Spielen Lahms endet schnell bei Metaphern voller Nadeln und Heuhaufen. Spielt Lahm nicht gut, spielt er allerhöchstens unauffällig. Im heutigen Fußball voller Westermanns und Sobiechs bei Verteidigern nicht unbedingt das schlechteste Prädikat. 

Auch Lahms großer Förderer und ehemaliger Jugendtrainer, der „Tiger“ Hermann Gerland meint der Außenverteidiger “hätte außerhalb des Platzes nie Mist gemacht, nie Flausen im Kopf gehabt“. Gerade deshalb ist Lahms Karriere, bis auf leichte Störgeräusche um Kapitänsbinden und Buchveröffentlichungen, bemerkenswert schnörkellos verlaufen.  Vom Münchner Lausbub aus der Jugendabteilung des FT Gern zum Weltstar mit spärlichem Bartwuchs und Kapitän der aktuell wohl besten Mannschaft der Welt, musste er nur den Umweg über den VfB Stuttgart nehmen. 

In der Nationalmannschaft ist er seit seinem ersten Länderspiel Stammkraft, verkörpert wie kein Zweiter die Zäsur zwischen dem Kampf-und-Krampf-Fußball der frühen 00er Jahre und der Wiederkehr Deutschlands in den Zirkel der großen Fußballmächte und ist auch hier  inzwischen Kapitän.

 Als Anführer ist er ein Leisesprecher und vertritt, zumindest nach außen hin, das Konzept der flachen Hierarchien. Philipp Lahm ist niemand der um jeden Preis auffallen will. Trotzdem ist die Resonanz auf den Sohn eines Fernmeldetechnikers im Ausland gewaltig. Nicht umsonst klopften zahlreiche der anderen europäischen Granden an. Auch Pep Guardiola, Lahms heutiger Trainer, wollte ihn zum FC Barcelona lotsen. 

Vergeblich. Philipp Lahm, der Münchner Junge, wird die Karriere in seiner Geburtsstadt beenden. Wäre die Riege der internationalen Klassefußballer ein Autosalon, wäre Lahm ein Mercedes. Gediegen, solide, manchmal unauffällig und trotzdem voller Kraft. Eine perfekt geölte Maschine, deutsche Ingenieurskunst.


 Ein Spieler ohne den wir uns den deutschen Fußball gar nicht mehr vorstellen können und wollen.
Alles Gute zum 30.Geburtstag Philipp Lahm!

Dienstag, 5. November 2013

Wie Phoenix aus der Asche

VON STEFAN MATERN:


Es waren Szenen purer Euphorie und Freude wie sich sonst nur beim Erreichen des Klassenerhalts oder beim Gewinn der Weltmeisterschaft abspielen.
Hunderte Fans stürmten den Platz des Estadio Vincente Calderón, den heiligen Rasen Atletico Madrids, um ihren neuen Stürmer-Star David Villa willkommen zu heißen. Über 20 000 Fans hatten den Weg ins Stadion gefunden, schlussendlich musste sogar die Polizei eingreifen und Villa in die sicheren Katakomben geleiten.

 Es sind gewiss Momente, die die neue Nummer 9 bei Reals Hauptstadtrivalen genießt und wertzuschätzen weiß, es sind jedoch auch Momente, die David Villa beinahe nie erlebt hätte.
Im Alter von neun Jahren hatte sich der 1,75m-große Stürmer den Oberschenkelknochen beim Fußball gebrochen, der leitende Arzt dachte über eine Amputation nach, verwarf den Gedanken aber schlussendlich und der junge Villa konnte nach einigen Monaten wieder Fußball spielen. 

Paradoxerweise hat gerade jene Ausfallzeit keinen geringen Anteil an der Beidfüßigkeit des Spaniers, hatte ihm doch sein Vater während der Leidenszeit unentwegt Bälle auf den linken Fuß zugespielt.
20 Jahre später widerfährt ihm, nach der Wundersaison in der Villa mit dem FC Barcelona jeden Titel außer den spanischen Pokal abgeräumt hatte, eine ähnlich schlimme Verletzung: Schienbeinbruch und über ein halbes Jahr Pause. Nach langwieriger Reha und schließlich gefeiertem Comeback, hatte der damalige 40-Millionen Mann der Katalanen jedoch nie wieder richtig Anschluss an die erste Elf gefunden. Und das obwohl sich seine Leistungsdaten mit 10 Toren und 5 Vorlagen in 28 Spielen alles andere als schlecht lesen. 

Doch der Glanz des mittlerweile 31-jährigen, der seinen ersten Profivertrag bei Sporting Gijón unterschieben hatte, schien verblasst zu sein. Eine vage Erinnerung an die goldenen Zeiten vergangener Tage, eine Erinnerung die so überhaupt nichts mehr mit seinem großen Vorbild Luis Enruiqe, zu tun hatte, an dem er sich aber so gerne messen ließ. 
Bezeichnend hierfür war auch die Ablösesumme die beim Wechsel zu Atletico für den einstigen Finaltorschützen der Championsleague gezahlt worden war: 2,1 Millionen Euro. 38 Millionen Euro Differenz zur damaligen Ablösesumme die die Katalanen an den FC Valencia hatten blechen müssen. Himmelhoch jauchzend versus zu Tode betrübt. Und heute?

David Villa erlebt gerade, wie man so schön sagt, den zweiten Frühling seiner Karriere, atmet die zweite Luft und ist in Madrid eingeschlagen wie eine Bombe. Die hohen Erwartungen gepaart mit der Euphorie der Fans, haben ihn nicht verrückt werden lassen, nein sie haben ihn wohl besonders motiviert. Als Nachfolger für den für 60 Millionen Euro zum AS Monaco transferierten Falcao geholt, erzielte er in den bisherigen 12 Saisonspielen bereits 6 Treffer und gab dabei 3 Vorlagen. Das Zusammenspiel mit seinem Sturmpartner Diego Costa funktioniert ebenfalls, Villa ist angekommen. Die Zukunft könnte also schlechter aussehen, scheint auf Rosen gebettet zu sein.


Doch wenn David Villa eines gelernt hat, dann ist es den Moment zu genießen und im Hier und Jetzt zu leben. Er hat, wie wenige andere, die Schnelllebigkeit des modernen Fußballgeschäfts mit voller Breitseite zu spüren bekommen und wagt nun mit 31 Jahren einen Neustart. Ein Neustart der bisher wirkt, als wäre er vorherbestimmt, als wäre der Phoenix aus der Asche empor gestiegen um die gegnerischen Verteidiger schwindelig zu spielen und Torhüter verzweifeln zu lassen. Ein Neustart auch, der Villas Willen und seine Fähigkeit zu leiden würdigt. Ein Neustart der hoffentlich ein gutes Ende findet. 
Zu gönnen wäre es ihm. So wie damals.