Donnerstag, 28. November 2013

Zauberei am Zuckerhut: Die Utopie der perfekten Weltmeisterschaft Teil I
















VON STEFAN MATERN:

200.000 Menschen protestierten auf den Straßen der verschiedensten Städte, mehr als doppelt so viele taten ihren Unmut in sozialen Netzwerken kund. Bilder von Straßenschlachten mit der Polizei, herumfliegenden Molotow-Cocktails und zu Wurfgeschossen umfunktionierten Kokosnüssen flimmerten über die Bildschirme in europäischen Wohnzimmern. 

Was sich anhört wie ein Lagebericht zu Zeiten der ägyptischen Revolution im arabischen Frühling ist lediglich das, was sich während der Generalprobe zur WM 2014, dem Confederations-Cup 2013, in Brasilien abspielte. Jene Szenen sind jedoch durch die Vorkommnisse in Katar, und auch durch die spannenden Playoffs in der WM-Qualifikation, in Vergessenheit geraten und die Welt freut sich, wie just nach der Vergabe, auf ein Sommermärchen 2.0 in Brasilien.

 Zauberei unterm Zuckerhut, Samba do Brasil, die erst zweite WM nach 1950 in dem Land, in dem es mehr Fußbälle als Straßenlaternen gibt, in dem klangvolle Namen wie Pele, Romario, Ronaldo oder Zico das Kicken auf der Straße lernten. Kein anderes Land impliziert die Liebe zum Fußball so deutlich, kein anderes Volk lebt Fußball so wie die Brasilianer. Also rein ideell gesehen nicht die schlechtesten Voraussetzungen. Doch in der Realität zeigt sich ein zweites Gesicht - o reverso da medalha, wie der Brasilianer sagen würde, die Kehrseite der Medaille.

Der Umbau bzw. Neubau von Stadien und der Ausbau der Infrastruktur hinken in Planung und Umsetzung den Vorgaben meilenweit hinterher, die Kosten explodieren und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst. Keinen geringen Anteil an den Zweifeln in der Gesellschaft hat der Vertrauensbruch den die Regierung beging, hatte sie doch versprochen, die WM ausschließlich durch private Investoren zu finanzieren. Résumé: Über 10 Milliarden Dollar an Steuergeldern die bisher aufgewendet wurden, das sind mehr als die Kosten der letzten drei Weltmeisterschaften zusammen.


Dass in Brasilien der Schuh jedoch an ganz anderen Stellen drückt, wie beispielsweise in der Bildung oder bei sanitären Einrichtungen, sorgt für weiteren Unmut in der Gesellschaft. Als logische Konsequenz und bitteren Beigeschmack sank das Wirtschaftswachstum, gleichzeitig stieg die Inflationsrate und die Lebensmittelpreise nahmen um satte 13 Prozent zu. 

Wer hier noch über Sommer, leicht bekleidete Brasilianerinnen, spektakuläre Dribblings von Neymar und den Beachbody von Cristiano Ronaldo an der Copacabana sinniert, ist wohl vor einigen Jahren gedanklich stehengeblieben und hat den Ernst der Lage noch nicht erkannt. 

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